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23/07/2025 • 09:41
Wie beschafft Österreich? GenLt VODOSEK im Interview
Von vermeintlich kleinen Beschaffungen wie Uniformen oder Munition bis hin zu Großprojekten wie Panzer oder Jets. Wer beschafft im Österreichischen Bundesheer was? Und welche Richtlinien gelten dabei? Georg Mader von MilitärAktuell im Gespräch mit Generalleutnant Harald Vodosek, Rüstungschef des Österreichischen Bundesheeres.

Herr Generalleutnant, wer ist für die Beschaffungen beim Österreichischen Bundesheer verantwortlich? Und laufen am Ende alle Fäden in Ihrem Bereich zusammen?
Nicht immer, aber meistens – abhängig vom Volumen. Grundsätzlich ist es so, dass eine Beschaffung immer einen Ursprungspunkt hat, irgendwo gibt es also einen Bedarf. Wir unterscheiden dann zwischen zentralen und dezentralen Beschaffungen. Durch die Direktion 5 Rüstung wird vor allem die zentrale Beschaffung bezogen auf die Hauptsysteme sichergestellt. Die Verfahren der dezentralen Beschaffung werden vor allem für Serviceleistungen, Verbrauchsmaterial und für den Einsatz unmittelbar notwendiger Leistungen angewandt. Ergänzend darf ich anführen, dass die Aufgaben der Direktion 5 Rüstung sich vor allem auf den Bereich der Systemeinführung, des Lebenslaufzyklusmanagements, des Modifikationsmanagements und des Realisierungsmanagements konzentriert. Die Beschaffung stellt einen integralen Bestandteil dieser umfassenden Aufgabenstellung dar. Hauptträger dieser Aufgabenstellung sind die sogenannten vier Systemabteilungen: Luftzeugabteilung, Abteilung für Waffensysteme und Munition, Abteilung für Fahrzeuge, Geräte und Persönliche Ausrüstung und Abteilung für Informations- und Kommunikationstechnologiesysteme.
Lassen Sie uns bitte ins Detail gehen: Wie erfährt ihre Direktion vom Bedarf, von den Wünschen und Bedürfnissen der Truppe? Melden die Verbände, dass einzelne Ausrüstungen zur Neige gehen? Oder es Neubeschaffungen braucht, weil bestehende Systeme untauglich sind?
Das Bundesheer gliedert sich in verschiedene Organisationselemente wie Brigaden, Bataillone oder Geschwader, Kompanien oder Batterien und Züge. Alle diese Organisationselemente haben eine zugeordnete Ausrüstung und Ausstattung: Hubschrauber, Panzer, Geschütze, Handfeuerwaffen, Fahrzeuge, Helme, Kampfanzüge und Stiefel zum Beispiel. In einem Verfahren, das generell von der Bedarfslage der Einsatzverbände ausgeht und von der Abteilung Strukturplanung im Verteidigungsministerium und von den einzelnen Systemabteilungen unterstützt wird, werden dann Modifikationen oder Neubeschaffungen angestoßen.
Das heißt, wenn erkannt wird, dass beispielsweise der Kampfanzug bestimmte Qualitätskriterien nicht erfüllt, wird um neue Anzüge gebeten?
Genau. Es könnte sein – um bei ihrem Beispiel zu bleiben –, dass in der Einsatzorganisation erkannt wird, dass der Kampfanzug im Einsatz Schwächen aufweist, weil zum Beispiel die Wärme-Kältebalance nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entspricht oder aber die Widerstandsfähigkeit des verwendeten Materials Mängel aufweist. Unsere Aufgabe ist es dann, Alternativen zu kennen und zu bewerten, ob eine Änderung sinnvoll ist. Dafür besuchen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Systemabteilungen und dem Amt für Rüstung und Wehrtechnik spezielle Konferenzen, Fachtagungen und Messen, um Erkenntnisse für zukünftige bessere Lösungen für die Einsatzorganisationen zu gewinnen.
Bleiben wir beim Beispiel: Der Kampfanzug weist bestimmte Mängel auf und am Markt gibt es Alternativen.
Dann haben wir im Grunde zwei Möglichkeiten: Die erste ist, dass wir Uniformstücke beispielsweise die Hose oder die Jacke ab einem bestimmten zweckmäßigen Zeitpunkt mit einer anderen Stoffqualität beschaffen und ein fließender Übergang stattfindet. Oder wir stellen auf ein komplett neues System um, so wie wir das zuletzt bei unserem Tarnanzug gemacht haben. Dafür braucht es dann ein Planungsdokument, das den Bedarf beschreibt, also in unserem Fall bezeichnen wir dieses Dokument Vorhabensabsicht, die von der Planung gemeinsam mit den Einsatzorganisationen und den Systemabteilungen der Direktion 5 erarbeitet wird.
Braucht es für alle Neubeschaffungen eine Vorhabensabsicht?
Genau. Sobald diese erstellt und genehmigt ist, leiten wir in der Direktion 5 Rüstung die konkrete Beschaffung ein. Dazu erstellen wir zunächst auf Basis unserer Marktkenntnis, Informationen von Unternehmen und Erfahrungen anderer Nationen eine umfassende Analyse in verschiedenen Bereichen. Und darauf aufbauend empfehlen wir die Art des Beschaffungsverfahrens. In Abstimmung mit der Vergabeabteilung und der Revision wird dann am Ende in einem Abstimmungsverfahren die Letztentscheidung durch die Vergabeexperten getroffen.
Das heißt, es wird definiert, wie konkret beschafft wird?
Im Wesentlichen geht es darum, jenes Beschaffungsverfahren zu wählen, welches es ermöglicht, die beste Leistung oder das beste Material zum besten Preis für die Soldatinnen und Soldaten im Einsatz zur Verfügung zu stellen. Grundsätzlich wird auf der Basis der Gebarungsgrundsätze ein wettbewerbliches Verfahren angestrebt. Sollte tatsächlich nur ein Produkt oder eine Leistung, die von der Planung im Rahmen der Vorhabensabsicht beschriebenen Forderungen erfüllen, kann in bestimmten Fällen auf Grund technischer Gründe …
… mit nur einem Anbieter verhandelt werden?
Korrekt. In diesem Fall wird selbstverständlich im Wege der Verhandlung mit dem möglichen Auftragnehmer versucht, den besten Preis für die zu erbringende Leistung zu erzielen. Die vorhandenen gesetzlichen Grundlagen, im Kern das Bundesvergabegesetz oder das Bundesvergabegesetz für Verteidigung und Sicherheit, stellen neben anderen gesetzlichen Grundlagen die wesentliche Basis für unser Handeln dar. Neben der Vorhabensabsicht, erstellt durch die Planung, sind der Einleitungsvorgang und der Vergabevorgang die grundsätzlichen Verfahrensschritte bei der Beschaffung von Gütern und Leistungen. Konkret werden im Einleitungsakt – wir sprechen vom sogenannten „Einleiter” – neben den taktischen Forderungen unter anderem die wesentlichen technischen Forderungen, der Umfang, erste budgetäre Notwendigkeiten, Begründungen für die Einführung eines Gutes und die Empfehlung für die Vergabeart formuliert.
Werden für diesen Einleiter auch schon die Kosten erhoben?
Zu diesem Zeitpunkt sind auf Basis verschiedener Verfahren der Marktbeobachtung bereits erste Kosten für Material, Logistikleistungen, Simulation, Ausbildung und Infrastruktur vorhanden und stellen einen Bestandteil des Einleitungsaktes dar.
Haben die infrage kommenden Unternehmen dafür bereits einen Request for Information (RFI) oder etwas Ähnliches beantwortet?
Ja. In vielen Fällen werden auf den verschiedenen Ebenen zum Beispiel durch Requests for Information Zahlen, Daten und Fakten von den potenziellen Anbietern eingeholt. Zusätzlich fließen in dieser Phase die Erkenntnisse aus Marktstudien, Informationen anderer Verteidigungsministerien oder aber auch Informationen von Konferenzen oder Fachtagungen ein. Konkretes Zahlenmaterial ist vor allem in der Phase der Vergabe durch die bestehenden Angebote der jeweiligen Anbieter verfügbar. Wesentliche Basis für die Budgetierung stellen vor allem auch die von den Planern vorgegebenen Strukturzahlen, Mengengerüste und Realisierungsprioritäten dar.
Es ist also Aufgabe der Strukturplanung, zu definieren, wie viel Stück von jeder Beschaffung benötigt werden?
Im Rahmen des Materialstrukturplans werden die Materialkategorien und Stückzahlen für die jeweiligen Organisationselemente festgelegt. Zusätzlich werden im Rahmen der Vorhabensabsicht die Themen Logistik, Ausbildung, Infrastruktur und Vorschriften und Simulation behandelt. Diese Dokumente bilden die Grundlage für die Bearbeitungen der Direktion 5 Rüstung. Der Materialstrukturplan legt das sogenannte SOLL eines bestimmten Gutes fest. Ob nun das gesamte SOLL oder nur ein Teil davon beschafft wird, ist Teil einer Prioritätensetzung, die durch die Planung in Abstimmung mit der Rüstung festgelegt wird. Auf Basis dieses Ergebnisses zusammengefasst in der Vorhabensabsicht erstellen dann die Systemabteilungen der Direktion 5 Rüstung nach einer eingehenden Analysephase unter Einbindung der notwendigen Fachabteilungen und anderer Direktionen den schon angesprochenen Einleitungsakt. Dieser wird im Wege eines strukturierten Verwaltungsvorganges den Dienststellen des Generalstabes, der Revision, dem Kabinett und der Vergabeabteilung zur Beitragsleistung übermittelt und dient am Ende der
Vergabeabteilung als Grundlage, den nächsten und entscheidenden Schritt
des Vergabevorganges durchzuführen.
Wann wird die Beschaffung konkret?
Gibt es eine technische Ausschließlichkeit, also technische Gründe, um nur mit einem Anbieter zu verhandeln, dann kann die Vergabeabteilung dieser Vorgabe folgen und mit konkreten Vertragsverhandlungen beginnen. Wird durch die Vergabeabteilung ein wettbewerbliches Verfahren festgelegt, also gibt es mehrere Anbieter, so ist die Entscheidung erst am Ende des Vergabeverfahrens möglich.
Sind auch Direktvergaben möglich?
Wenn die Deckung eines Bedarfes bestimmte Wertgrenzen nicht überschreitet, dann ja. Zudem gibt es auch sogenannte automatisierte Beschaffungen. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn durch das System LOGIS – Logistisches Informationssystem – ein Bedarf an Ersatzteilen festgestellt wird, dann wird ein quasi automatischer Beschaffungsvorgang eingeleitet. Die Letztentscheidung, ob der Beschaffungsvorgang durchgeführt wird, liegt aber nach wie vor bei den jeweiligen Experten.
Wir haben bereits darüber gesprochen, wie die Marktrecherche funktioniert. Aber wie werden neue Geräte bei Bedarf getestet? Wer macht beispielsweise Schusstests?
Lassen Sie mich das anhand von unbemannten Bodenfahrzeugen für die Infanterie erklären. Dabei geht es um ein Fahrzeug, das als Unterstützung automatisch einer Infanteriegruppe folgt. Das Ziel ist es, dieses Fahrzeug auf mögliche Transportleistungen, aber auch Feuerunterstützungsmöglichkeiten zu erproben. Dafür wird ein Erprobungsauftrag formuliert. Der für solche Erprobungen benötigte Leiter kann ein Experte aus dem Verteidigungsministerium sein. Wir setzen aber auch Experten der Einsatzverbände oder einer Schule oder der Akademien (Anmerkung: Militärakademie und Heeresunteroffiziersakademie) für derartige Erprobungen ein. Involviert sind zudem die Systemabteilungen und das Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT). Ziel ist es dann, dass die Erprobung möglichst realitätsnah abläuft, klassische Bewegungsmuster in Angriff, Verteidigung und Verzögerung durchgespielt werden und wir analysieren können, welches der erprobten Geräte den Anforderungen am besten gerecht wird. Erprobungen bezogen auf Waffen und Munition werden generell im Rahmen des ARWT durchgeführt.
Welche Kriterien werden dabei erhoben?
Wir überprüfen unter anderem die Qualität des Materials und des Antriebssystems, den Kraftstoffverbrauch und die Fehleranfälligkeit. Aber auch viele andere Faktoren bis hin zur erforderlichen Logistik. Also wie so ein Fahrzeug in eine Kompanie, einen Zug, eine Gruppe oder einen Trupp eingegliedert werden könnte. Eine wichtige Erkenntnis der Erprobung ist auch, wie die Ausbildung der Soldatinnen und Soldaten zu erfolgen hätte, um dieses Material betreiben zu können. Die so gewonnenen Erkenntnisse finden unmittelbaren Eingang in Vorhabensabsichten, die wiederum die Grundlage für nachfolgende Beschaffungen sein können.
Besteht dabei nicht die Gefahr, dass die Wünsche genau auf ein in der Erprobung gut abschneidendes Fahrzeug abgestimmt werden?
Die Herausforderung ist es, eben genau das zu vermeiden. Wir wollen keine möglichen anderen Anbieter und Produktweiterentwicklungen schon vorab ausschließen, nur weil eines oder mehrere der getesteten Systeme unsere Kriterien schon sehr gut erfüllt haben. Auch deshalb loben wir Erprobungen immer sehr breit aus und laden alle möglichen Anbieter ein, Geräte beizustellen. Das Ergebnis muss jedenfalls eine produktneutrale Vorhabensabsicht sein.
Was ist mit dem wesentlichen Element des Einleitungsakts, der technischen Leistungsbeschreibung?
Die Kerntätigkeit der Direktion 5 Rüstung beginnt mit der Übergabe der Vorhabensabsicht. Danach erfolgt vor allem im Rahmen der Systemeinführung der Hauptsysteme eine umfassende Analyse des Marktes, der möglichen kooperationsbereiten Nationen, der Technologie und der Vergabe¬arten. Wichtigster Bestandteil in dieser Phase ist allerdings das Verfassen der technischen Leistungsbeschreibung. Diese detailliert die taktischen Forderungen der Vorhabensabsicht in technische Forderungen. Die Herausforderung ist es, auch hier so produktneutral wie möglich zu beschreiben, um ein breites Anbieterfeld ansprechen zu können. Wesentlich ist, alle Grundlagen dafür zu schaffen, um die optimale Lösung zur Sicherstellung der Bewältigung der Einsatzszenarien im Rahmen der Landesverteidigung ermöglichen zu können.
Wie erfahren Unternehmen von Ausschreibungen? Wo werden diese kundgemacht?
Das wird elektronisch EU-weit kundgemacht. Grundsätzlich kennen die Unternehmen die relevanten Plattformen, auf denen das geschieht. Im Fall der Fälle unterstützt aber auch die Vergabeabteilung mit Informationen.
Können einzelne Verbände – zum Beispiel das Jagdkommando – anders beschaffen als andere Verbände? Dort geht es in den meisten Fällen doch um sehr spezielle Ausrüstung.
Im Zuge der dezentralen Beschaffung können die Dienststellen des Bundesheeres Güter des täglichen Gebrauches wie Schreibwaren, Papierwaren und sonstige für den Verwaltungsbetrieb notwendige Güter beschaffen. Für Organisationen wie das Jagdkommando, die Militärpolizei oder aber auch die beiden Ämter können im Bedarfsfall bezogen auf die dortigen spezifischen Bedarfslagen spezielle Vergabeverfahren angewandt werden. Generell gilt aber auch hier, dass im Wege der zentralen Beschaffung der größte Teil der Bedarfslage durch die Direktion 5 Rüstung gedeckt wird.
Bedeckt werden aber alle Beschaffungen über das Heeresbudget, oder?
Ja, natürlich, das ist immer der Fall. Egal ob wir über unsere Vergabeabteilung beschaffen, über die österreichische Bundesbeschaffungsgesellschaft (BBG), über Foreign Military Sales (FMS), über das US-Verteidigungsministerium oder möglicherweise in Zukunft über die Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement (OCCAR), über die European Defence Agency (EDA) oder über die NATO Support and Procurement Agency (NSPA). Letzten Endes wird der Bedarf des Bundesheeres durch das vorgegebene Budget abgedeckt. Die Beschaffung wird immer in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium für Finanzen durchgeführt.
Letzte Frage: Welche Beschaffungen plant das Bundesheer für die nähere Zukunft?
Wir konnten in den vergangenen drei Jahren sehr viele Projekte realisieren von der Modifikation der Panzerflotte Leopard und der Schützenpanzerflotte Ulan, den neuen C-390M-Transportflugzeugen (-> Embraer startet den Bau der ersten C-390M für das Bundesheer), Black Hawk- und AW169-Helikoptern (-> Black Hawk-Deal nun auch offiziell, -> Zwei weitere AW169 in Österreich gelandet) bis hin zu den Pandur-Radfahrzeugen in zwölf unterschiedlichen Konfigurationen. An Großprojekten stehen nun als nächstes die Flotte der leichten Infanteriefahrzeuge, das Drohnensystem kurzer Reichweite, der M-346FA Advanced Jet Trainer, die bodengebundene Luftabwehr kurzer und mittlerer Reichweite und später für die lange Reichweite auf dem Programm. In diesen Bereichen laufen die Vorarbeiten. Parallel dazu laufen weitere neue Kampfanzüge, Kampfhelme, Lkw, Nachtsichtbrillen und Schutzanzüge zu. Wir beschaffen aber auch hochmoderne Kommunikationssysteme, digitale Führungssysteme und Munitionssorten verschiedenster Art. Und natürlich haben wir auch noch einige andere Vorhaben geplant. Aber dazu bei anderer Gelegenheit mehr.
Das Interview finden Sie auch hier.